Mein Verständnis von Macht und Verantwortung

Gefragt nach meinem Berufswunsch wollte ich als Grundschulkind „Gärtnerin“ werden, wahrscheinlich inspiriert durch eine Großcousine, die Floristin war. Gärtnerin bin ich nicht geworden. Doch diese Tätigkeit lässt sich auf meinen Einsatz in der Seelsorge und auf mein Leitungsverständnis übertragen. Leitung bedeutet für mich, sich um passende Rahmenbedingungen zu kümmern. Wie jemand, der für unterschiedliche Beete und Räume in einem Garten oder Park verantwortlich ist, geht es mir darum, dass die Mitarbeitenden passende Arbeitsgrundlagen für ihre Aufgaben haben. Leitung ist eine Dienstleistung, kein Selbstzweck.  

Gleichzeitig finde ich es bedeutsam, die Macht, die immer auch mit Leitung verbunden ist, nicht zu leugnen. In der Kirche nehme ich die Versuchung wahr, mit der Betonung des Dienstcharakters auszublenden, dass Leitung mit Macht einhergeht. Macht bedeutet machen, gestalten und entscheiden zu können, aber auch zu müssen. Sie muss mit Verantwortung und Verlässlichkeit verbunden sein. Vor einigen Jahren sah ich auf der Biennale in Venedig ein Kunstwerk zum Thema Macht in Form eines Throns, der mit einem Schlauch verbunden war. In ihn wurde in verschiedenen Zeitabständen Luft hineingepumpt, so dass er wild um sich schlug. Dann lag er wieder harmlos da, wenn die Luftzufuhr abgestellt wurde. Hier wurde mit künstlerischen Mitteln dargestellt, wie willkürliche, intransparente Macht wirkt. Sie ist unberechenbar und dadurch destruktiv. Immer wieder hört man die Äußerung, Frauen ginge es bei der Ämterfrage in der Kirche ja „nur“ um Macht. Macht zu haben ist etwas Positives, wenn sie in einer förderlichen Form ausgeübt wird. Der Auftrag Jesu ist eindeutig: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein.“ (Mk 10,42 f.) In der Kirche wird von Vollmacht gesprochen, d.h. man nimmt sich die Macht nicht für sich selbst, sondern wird ermächtigt, einen Beitrag zu leisten, dass alle Christinnen und Christen in der Nachfolge Jesu so in der Welt leben, dass die Verbundenheit mit Gott erfahrbar wird.

Neben der mit Leitung verbundenen Macht ist die Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Ohnmacht ein Thema. Wie groß ist der Spielraum für Veränderung? Wofür habe ich Verantwortung und wofür nicht?

Als ich noch keine Leitungsaufgabe innehatte, hatte ich die Vorstellung, dass in bestimmten Positionen viele Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden seien. Jetzt erkenne ich Begrenzungen klarer und werde manchmal ungeduldig, wenn mir bewusst, was ich nicht ändern kann. Es ist ein ständiges Ausloten, was als Grenze angenommen werden muss und gleichzeitig Chancen zu sehen und zu nutzen.

Leitung auf einer höheren Ebene zu haben, bedeutet einen Perspektivwechsel. Ich muss und will für das Ganze denken, d.h. ich kann mich nicht nur mit einem Feld oder Anliegen identifizieren. Einen möglichst weiten Blick zu haben ist anspruchsvoll und erfordert die Bereitschaft, mit Interessenskonflikten umzugehen. Ich versuche dialogisch und kooperativ zu leiten. Dadurch lerne ich viel. Immer wieder wird mir nach Dienstgesprächen und den damit verbundenen Einblicken in die Aufgabenfelder der Reichtum bewusst, den wir durch die Menschen in der Kirche haben. 

Wenn ich mit der Meinung konfrontiert werde, dass Frauen auf höheren Leitungsebenen in der Kirche vielleicht „nur Alibi“ seien, macht mich dies nachdenklich. Die Gefahr besteht. Und doch überwiegt bei mir die Überzeugung, dass sich Kultur ändert, wenn Leitungsgremien gemischter sind. Es entsteht mehr Augenhöhe und kollegiales Miteinander. Ich bin überzeugt, dass die Auswirkungen positiv sind, wenn es noch üblicher wird, dass Frauen geistlich fundiert Leitung im theologisch-pastoralen Bereich übernehmen, nicht nur in Klöstern, sondern auch in anderen Lebens- und Arbeitsformen. 

 

Mich ruft der Gärtner. 

Unter der Erde seine Blumen 

sind blau. 

Tief unter der Erde 

seine Blumen 

sind blau. 

 

Hilde Domin: Ruf. In: Gesammelte Gedichte, S. 290.

 

Zurück zu meinem Anfangsbild und der Analogie zum Garten: Von Hilde Domin gibt es ein Gedicht: „Mich ruft der Gärtner“. Mir gefällt, dass in diesen Versen Blumen schon gesehen werden, wenn sie noch unter der Erde sind. Und sie sind blau… die Farbe der Sehnsucht und des Himmels. Es geht nicht um mein „Gärtchen“, sondern um Gott, den großen Gärtner. Daran mitzuwirken, dass Weite und Wachstum möglich sind, ist für mich ein Ideal. 

 

Angelika Maucher (Foto Nicolas Schnall)

Angelika Maucher ist Pastoralreferentin und leitet die Hauptabteilung II Seelsorge im Bischöflichen Seelsorgeamt Augsburg. In dieser Funktion engagiert sie sich u. a. für die pastorale Begleitung und die Weiterentwicklung seelsorglicher Angebote.

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