Das Geschenk des Seins
W enn das Glöckchen klingelte,
wusste ich: Jetzt ist das
Christkind da gewesen und
hat seine Geschenke gebracht.
Die Zeit des Wartens auf das Christkind haben
meine Eltern, Großeltern, Geschwister
und ich damit verbracht, um den Esstisch
in der Küche zu sitzen und den Rosenkranz
zu beten. Davor waren wir in der Abendmesse
gewesen. Und anschließend gab es zuhause
das traditionelle Heilig-Abend-Essen:
Bratwürstchen natürlich aus der eigenen
Hausschlachtung, Sauerkraut und Brot. Ein
schlichtes regionales und saisonales Essen!
Sobald ich dieses Glöckchen hörte, konnte
mich nichts mehr halten. Ich, die Jüngste von
sechs Kindern, stürmte sofort los in die gute
Stube. Ich wollte das Christkind unbedingt
sehen, meine Neugierde war riesengroß. Gerade
eben hatte es mit dem Glöckchen geklingelt,
also musste es noch da sein. Ich riss die
Tür zur guten Stube auf – und blieb überwältigt
stehen.
Mitten im Raum stand ein Christbaum, auf ihm brannte ein Lichtermeer an Kerzen - natürlich echte Wachskerzen. Die Weihnachtskugeln am Baum reflektierten das flackernde Kerzenlicht. Zusammen mit den Kerzen und den bunten Kugeln wirkte der Christbaum in seinem satten Tannengrün „überirdisch“ in dem ansonsten völlig unbeleuchteten Raum. Unter dem Baum lagen in glänzendes Papier eingepackte Geschenke.
Ich war voller Staunen und Ehrfurcht. So lieb hatte Gott uns! So liebevoll hatte Gott uns gezeigt: „Ich bin da“. Gottes Botschaft war klar: „Mit dem schön geschmückten Baum, den Kerzen und den Geschenken zeige ich euch, dass ich euch ganz fest liebhabe. Ihr seid für mich unendlich kostbar und wertvoll“.
Natürlich dachte ich damals noch, dass das Christkind das alles so schön für uns bzw. für mich hergerichtet hatte. Dass das in Wirklichkeit meine Eltern gewesen waren, wusste ich nicht.
Was blieb: tiefe Dankbarkeit, Freude, ein Gefühl von Ehre und Beschenktsein. Und der tiefe Glaube: Gott ist ein wunderbarer und guter Freund. Gott ist wirklich da. Unsichtbar. Aber sichtbar in den Spuren des Guten, die Gott hinterlässt.
Das alles ist inzwischen mehr als fünfzig Jahre her.
Als ich älter wurde, war dieser Zauber des Geheimnisvollen verflogen. Den Christbaum schmückte ich selbst. Und von meinem Taschengeld kaufte ich Geschenke. Es gab viele Geschenke: Socken, Wäsche, Bücher, Süßigkeiten. Nützliches und Unnützes. Freude, aber auch Enttäuschung, wenn nicht das dabei war, was ich mir gewünscht hatte. Wenn alle Geschenke ausgepackt waren, gab es Berge an Verpackungsmüll und zerknülltem Geschenkpapier. Und irgendwie eine seltsame Leere.
Heute weiß ich, dass unsere moderne Konsumwelt sehr gut verstanden hat, das Weihnachtsfest für sich zu nutzen. Wir reden vom Weihnachtsgeschäft, vom Umsatz. Es geht um Gewinnmaximierung. Und in der Werbung wird uns vorgegaukelt, dass es die Geschenke sind, die uns glücklich und zufrieden machen.
Aber wonach hungern wir in unserem tiefsten Innern? Und kann dieser Hunger durch Geschenke überhaupt gestillt werden? Machen uns das neueste Handymodell oder eine wertvolle Halskette satt und zufrieden?
Aus der christlichen Perspektive gefragt: Bringt uns der Konsumrausch an Weihnachten näher zu Gott? Bringt er uns in Kontakt mit dem Geheimnis unseres Daseins beziehungsweise mit Jesus Christus, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern?
In welcher inneren Verbindung steht die Flut an Geschenken, die unser Weihnachtsfest bestimmen, zur Botschaft der Engel anlässlich der Geburt Jesu „Heute ist euch der Retter geboren. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ (nach Lk, 2,11-12).
In der Weihnachtsbotschaft ist nicht von einem Leben in Überfluss auf Kosten der Erde und der Armen die Rede. Da ist einer gekommen, um zu dienen, zu heilen, zu trösten. Das Bild vom Neugeborenen in der Futterkrippe – es zeugt von Bescheidenheit. Das göttliche Kind muss nicht in einem prächtigen Königspalast zur Welt kommen. Es geht nicht um das Haben. Es geht nicht um Mehr, Größer, Schöner, Reicher. Es geht um das Sein!
Papst Franziskus spricht angesichts eines überbordenden Konsums von der Leere im menschlichen Herzen. „Während das Herz des Menschen immer leerer wird, braucht er immer nötiger Dinge, die er kaufen, besitzen und konsumieren kann.“ (Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si, 204).
Konsum und Weihnachten passen und gehören nicht zusammen!
Aber können wir uns ein Weihnachten ohne Geschenke – also ohne Konsum – überhaupt vorstellen? Ist Weihnachten ohne Geschenke Weihnachten? Ist Weihnachten und Schenken nicht untrennbar miteinander verbunden?
Die letzte dieser Fragen kann ich guten Gewissens mit „Ja“ beantworten. Ich glaube, Schenken gehört elementar zum Weihnachtsfest dazu. Aber man muss unterscheiden zwischen Schenken und Geschenken – und das widerspricht sich nicht!
Schenken hat mit dem Herzen zu tun. Wenn ich etwas schenke, dann ist das eine Geste, die ausdrückt: „Ich öffne dir mein Herz. Ich will dir Gutes. Ich will dir eine Freude machen. Du bedeutest mir etwas. Beim Schenken geht es gar nicht um das Geschenk an sich. Es geht um die Geste, durch die das Herz sprechen möchte. Es geht darum, unser Herz zu öffnen unseren Nächsten gegenüber, auch uns selbst und unseren dunklen Seiten gegenüber. Und über diesen Weg öffnen wir dem, der unser Leben trägt, dem „ich bin da“ unser Herz.
Dazu braucht es einen Prozess. Und der braucht Zeit. Das geht nicht auf Befehl. In der Adventsliturgie hören wir vom Rufer in der Wüste: „Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!“ (Mt 2,3). Johannes der Täufer hatte deswegen zur Umkehr aufgerufen.
Dasselbe gilt auch heute noch für uns. Man kann nicht am Heiligen Abend anfangen, den Heiligen Abend zu feiern – zumindest, wenn es um mehr gehen soll, als einen netten Abend, an dem man Geschenke austeilt und empfängt. Das ist zwar legitim, aber ein solcher Abend hat nichts mit dem ursprünglichen „Heiligen Abend“ zu tun: mit dem Kind in der Krippe; dem Friedensfürst; der Möglichkeit einer tiefen Gotteserfahrung; der Jesusnachfolge. Um unser Herz wirklich öffnen zu können, braucht es einen Weg. Es gibt für diesen Weg bereits einen Namen und eine sehr lange Tradition: Der Advent! Früher wurde er auch die „staade Zeit“ genannt.
Die Advents- und Weihnachtszeit sind aufgrund der dunklen Jahreszeit stark von den Elementen „Licht“ und „Dunkelheit“ geprägt. Beides sind sehr wirkmächtige Elemente. Stellen wir uns die Zeit vor, in der es noch kein elektrisches Licht gab. Die Tage wurden immer kürzer. Die Dunkelheit nahm sich Raum.
Unsere Straßen und Häuser sind gewöhnlich ab der Adventszeit in stimmungsvolles glänzendes Licht getaucht. Das soll eine weihnachtliche Atmosphäre erzeugen. Und das tut es vermutlich auch. Aber die starken Elementen von Licht und Dunkelheit werden dadurch ihrer Wirkung beraubt – und wir berauben uns um eine Erfahrung der Tiefe. Wie können wir uns auf die Geburt Jesu freuen, auf das Licht, das auch in unserem Herzen einziehen möchte, wenn wir davor gar nicht die Erfahrung der Dunkelheit machen?
Weihnachten kann uns helfen, wieder demütiger zu werden. Tief in uns können wir eine leise Ahnung von Gottes Liebe spüren, die in uns aufblüht, wenn wir sie zulassen. Am besten gelingt uns das, wenn wir wie ein Kind werden – ein Kind, das staunt, das glaubt, das sich dem Geheimnis des Lebens voller Vertrauen öffnet. Denn in diesem kindlichen Staunen liegt der Schlüssel zu wahrer Nähe zu Gott.
Andrea Kaufmann-Fichtner ist Pastoralreferentin im Bistum Augsburg und seit 2017 eine der beiden Umweltbeauftragten der Diözese. Sie lebt mit ihrer Familie nordöstlich von Augsburg. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Bewusstseinsbildung in Pfarreien für die Bewahrung der Schöpfung.